Oben-Ohne

Was ein unbekleideter Oberkörper mit Privilegien und Solidarisierung zu tun hat.

+ + + konkreter Vorschlag zum Umgang weiter unten + + +

Wenn es richtig warm ist, dann ziehen sich viele Menschen schnell ihr T-Shirt aus. Dies aber ist ein Privileg und für andere Menschen kann es sehr unangenehm sein. Privilegien haben es leider so an sich, dass sie für die, die sie haben, meist unsichtbar sind. Vielen ist nicht bewusst, dass das Bild von männlichen* nackten Oberkörpern gesellschaftlich normalisiert ist, wohingegen weibliche* nackte Oberkörper den öffentlichen Raum allein in sexualisierter Form prägen. Es geht dabei nicht nur um das T-Shirt, sondern vor allem darum, dass wir in einer patriarchal geprägten Gesellschaft leben.

Ein Teil des Patriarchats ist, dass die Körper von Frauen*, Trans* und Inter* häufig gesellschaftlich objektiviert und sexualisiert werden, weshalb sie nicht einfach ihr T-Shirt ausziehen können. Gerade wenn Körper nicht den gängigen Schönheits- und Geschlechternormen entsprechen, ist Nacktheit ein gesellschaftliches Tabu. Von Sexismus betroffene Menschen, die trotzdem „oben ohne“ rumlaufen, werden dabei durch Blicke, Kommentare und andere Grenzüberschreitungen bewertet und zurechtgewiesen.

Diese Sexualisierung und Tabuisierung ist sogar rechtlich festgeschrieben: Laut Gesetz müssen mindestens die Brustwarzen von Frauen* bedeckt sein, ansonsten handelt es sich um „Erregung öffentlichen Ärgernisses“ und stellt eine Ordnungswidrigkeit dar.

Darüber hinaus leben wir in einer Gesellschaft, in der sexualisierte Gewalt kein Einzelphänomen, sondern gesellschaftliche Realität ist. Jede 3. bis 4. Frau* und jeder 7. bis 8. Mann* musste in ihrer Kindheit sexualisierte Gewalt erleben. Diese Gewalt geht zu 98% von Männern aus. Deswegen können männliche* nackte Oberkörper Erinnerungen an Gewalterfahrungen auslösen und sehr unangenehm und belastend sein. In der konkreten Konfrontation damit, ist es für viele überhaupt nicht einfach, sprach- und handlungsfähig zu werden.

Natürlich kann es ein emanzipativer Akt sein, wenn sich vom Patriarchat oder den gängigen Schönheits- und Geschlechternormen unterdrückte Menschen mit unbekleidetem Oberkörper zeigen. Es kann eine Befreiung sein, sich den gesellschaftlichen Normen und Bildern zu widersetzen und einen neuen Umgang mit Nacktheit zu gewinnen. Dahin zu kommen, dass sich jede*r frei fühlen kann, ist eine Utopie und wir sind auf dem Weg zu ihr. Doch viele Menschen können sich nicht einfach ihr T-Shirt ausziehen und wären nicht allein dadurch frei, denn dazu gehört noch viel mehr. Uns ist deshalb wichtig, dass Menschen selbst entscheiden können, wann und ob sie unbekleideten Menschen begegnen.

Wünsche für ein wohlfühliges Miteinander für (möglichst) alle!!

Auch wenn wir für eine andere, „bessere“ Welt kämpfen, sind wir in dieser Gesellschaft mit ihren Schönheitsidealen und ihrer sexualisierten Gewaltkultur sozialisiert. Wir wünschen uns daher, dass das Camp ein Ort wird, an dem wir uns mit Privilegien und Herrschaftsmechanismen auseinandersetzen und gleichzeitig Alternativen ausprobieren und experimentieren können. Doch auch hier müssen wir unsere Grenzen, und vor allem auch die Grenzen anderer (an)erkennen, zumal wir für eine begrenzte Zeit auf relativ begrenztem Raum zusammenleben. Das heißt, das Klimacamp ist nicht die für alle gelebte Utopie, sondern Teil eines Weges dorthin.

Deswegen haben wir den Wunsch, dass alle Menschen während des Camps ihr T-Shirt anbehalten und wir gemeinsam schwitzen. Wir sehen das „oben mit“ als einen Akt von Solidarität an, um die Menschen zu unterstützen, die „oben ohne“ nicht können oder möchten, und würden uns freuen, wenn alle Menschen als Verbündete zu einer kollektiven Befreiung beitragen. Für Kinder gilt dieser Vorschlag natürlich nicht – jedes Kind (oder seine Bezugspersonen) soll selbst entscheiden, wie es rumlaufen möchte. Wir würden uns wünschen, dass die „T-Shirt-Debatte“ Lernprozesse bei uns allen – besonders bei cis*-Männern – anstoßen kann. Fühlt euch frei andere Menschen anzusprechen und nachzufragen, wenn ihr die Thematik nicht versteht oder euch an ihr stoßt (aber versteht auch, wenn die Person, die ihr in dem Moment ansprecht, vielleicht gerade keine Kraft oder keine Lust hat zu erklären, denn über Sexismus zu sprechen, kann gerade für betroffene Personen richtig anstrengend sein). Und fühlt euch ermutigt, Menschen anzusprechen, die kein T-Shirt tragen. Wenn ihr miteinander sprecht, wünschen wir uns einen respekt- und verständnisvollen Umgang miteinander. Die „T-Shirt-Debatte“ kann einen Anstoß geben sich mit den eigenen Privilegien näher auseinanderzusetzen. Wir würden uns sehr freuen, wenn ein reger Austausch über Privilegien (und wie damit umgegangen werden könnte) in vielen Gesprächen und Kleingruppen auf dem Klimacamp und darüber hinaus stattfindet. Es kann sehr bereichernd sein, andere Perspektiven kennenzulernen und voneinander zu lernen. Wir begrüßen es ausdrücklich, wenn sich Menschen finden, die Austauschgruppen suchen, um über ihre Privilegien nachzudenken (und evtl. selber Austauschräume, zum Beispiel zu kritischer Männlichkeit im open space mitgestalten möchten).